Kultour de Ruhr

Pfingsthike der Pfadis

Mai 2006
Zehn Stationen für echte Ruhrgebietspfadfinder

  1. St. Franziskus Essen Bedingrade
  2. Heinrichshütte Hattingen
  3. Kanutour über die Ruhr von Witten bis Bochum
  4. Emil-Frick-Heim
  5. Emscher Park Radweg
  6. Wasserbahnhof Mülheim
  7. Gasometer Oberhausen
  8. Tetraeder Bottrop
  9. Nordsternpark Gelsenkirchen
  10. Zeche Zollverein Essen
  11. Schurenbachhalde
  12. Baldeneysee

„Wenn ihr euch nichts ausdenkt, dann fahren wir gar nicht weg, sondern machen eine Kultour durch das Ruhrgebiet!“ Eigentlich war es nur ein Scherz, der nach einer von Ideenlosigkeit geprägten Gruppenstunde unsere Pfadis dazu motivieren sollte, sich selber ein attraktives Programm für das diesjährige Stufenpfingstlager auszudenken. Doch kaum war der Gedanke einmal da, hatte er sich auch schon in unseren Köpfen festgesetzt.  „Kultur – wie langweilig“ maulten die Pfadis „Kultour – daraus kann man eine Menge machen“ dachten wir Leiter.
Nach zwei Monaten hatten die Jugendlichen vergessen sich um das Pfingstlager zu kümmern – wir Leiter jedoch nicht. Bei unserer Weihnachtsfeier mit Tee, Plätzchen und Weihnachtsliedern auf dem Hochofen im beleuchteten Landschaftspark Duisburg Nord, konnten sich schon mehr Pfadis für die Ruhrgebietstour begeistern. Nach einem  Ruhrgebietsscheppardy (auch bekannt als „Jeopardy“) waren dann schließlich alle von der Vielfältigkeit des Ruhrgebiets und den pfadfinderischen Möglichkeiten für unser Pfingstlager überzeugt. Begeistert von der Idee, dass genauso ein Kinobesuch, Klettern, Kanufahren, eine Radtour oder eine Fahrt mit der “Weißen Flotte“ unter den Begriff „Kultur“ fallen, machten sich die Jugendlichen mit uns zusammen daran, ein Programm auszuarbeiten.
Das außergewöhnliche Pfingstlager begann mit einer gewöhnlichen Straßenbahnfahrt Richtung Hauptbahnhof. Unser erstes Ziel war die Heinrichshütte in Hattingen, die wir schließlich auch gegen 19.00Uhr erreichten. Wir schlossen uns direkt einer Führung an, und bekamen so einen prima Überblick über den Weg des Stahls vom Rohmaterial zum fertigen Produkt. Die Tour über die Hütte endete anderthalb Stunden später mit einer Kletterpartie auf den Hochofen, von wo aus wir unseren ersten Ausblick über die Schaustätten des Ruhrgebietes an diesem Wochenende genießen konnten. Langsam leerte sich auch das Hüttengelände von Besuchern, so dass wir, heile wieder unten angekommen, unsere Zelte aufbauen und Essen kochen konnten. Traditionell gab es, wie an jedem ersten Lagerabend Erascaurant: 2 verschiedene Suppen des Hauses, dazu knuspriges Brot und einen traumhaften Sonnenuntergang vor spektakulärer Kulisse inklusive. Nach dem Abendessen wagten wir noch einen kleinen Spaziergang auf den, nun beleuchteten Hochofen um dort den Tag mit einer kleinen Abendrunde ausklingen zu lassen.
Am Samstagmorgen bauten wir, lange bevor die Hütte ihre Tore wieder für die Besucher öffnete, die Zelte ab und machten uns auf den Weg nach Witten, wo die „Ruhrpiraten“ mit ihren Kanu-Booten auf uns warteten. Zusammen mit unseren Rucksäcken wagten wir uns für den Rest des Tages gut gelaunt auf die Ruhr. Dank einer starken Strömung und einem uns wohl gesonnenen Wettergott blieb unsere Laune auch bis zum Schluss in Hochstimmung. Nach kurzen anfänglichen Steuerproblemen und übertriebener Sorge um die Rucksäcke, konnten wir uns schon nach kurzer Zeit entspannt in den Kanus zurücklehnen und uns die Ruhr entlang treiben lassen. Am späten Nachmittag erreichten wir Bochum-Dahlhausen, die Endstation für unsere Kanu-Tour. Nach einem kurzen Versorgungsstopp am Essener Hauptbahnhof fuhr uns die S-Bahn zum Stadtwald. Zu Fuß machten wir uns zum Emil-Frick-Heim auf, wo wir gerade noch unsere Zelte aufbauen und die Spagetti kochen konnten, bevor es anfing in Strömen zu regnen. Den Bäumen unter denen unsere Zelte standen sei Dank, dass wir die Nacht trocken überstanden.
Am Sonntagmorgen war schon keine Spur mehr von schlechtem Wetter, und so konnten wir nach einem kurzem Fußmarsch die S-Bahn nach Mülheim nehmen, wo Leihfahrräder auf uns warteten. Nachdem die Sattel eingestellt waren, machten wir uns auf den langen, langen Weg… zum Mülheimer Wasserbahnhof um dort erst einmal ausführlich zu frühstücken. Zwar in der nächsten Stadt, aber nicht wirklich weit entfernt, verschaffte uns ein kaputtes Fahrrad eine Zwangspause am Oberhausener Gasometer Bei strahlender Sonne konnten  wir die Fahrt am Rhein-Herne-Kanal entlang und über den Emscher Park–Radweg schließlich doch noch genießen. Einen kurzen Umweg am Tetraeder vorbei, den Berg hoch strampeln, die Aussicht genießen und anschließend im Affentempo den Berg wieder runter – weiter Richtung Nordsternpark. Wohlwissend um das dort stattfindende Rockfestival war von den Leitern nur eine kurze Mittagspause eingeplant: Hot-Dogs und Eis zum Nachtisch. Gut gestärkt ging es nun daran, die letzte Etappe mit dem Ziel Zeche Zollverein in Katernberg zu bezwingen. Der perfekte Ort für ein perfektes Ruhrgebiets-Dinner: Pommes mit Currywurst. Doch mit dem Besuch auf Zollverein war der Tag für uns noch nicht zu Ende. Das Problem: Ein  Schlafplatz musste her: Was wäre denn auch ein Hike ohne die verzweifelte Suche erschöpfter Pfadis nach einem Schlafplatz? Warum nicht einfach die ganze Nacht mit dem Nachtexpress durch das Ruhrgebiet heizen? Notlösung! Nur wenn wir partout nichts finden. Nach einem zweistündigen Marsch durch den Essener Norden,  sahen wir endlich die Schurenbach-Halde. Pünktlich zum Sonnenuntergang konnten wir uns, auf unseren Rucksäcken sitzend, das Lichterspektakel im Ruhrgebiet bei Nacht betrachten. Rockfestival, Autobahn aber auch Baumrascheln und Krötengeräuschen konnten wir lauschen. Ruhrgebiet pur!Zum Abschluss  des Tages  legten zehn Pfadis und drei Leiter ihr Versprechen ab, das im Anschluss auch kräftig mit Bonbons und Cola gefeiert wurde. Von dieser Kulisse wollten wir uns auch für ein paar Stunden nicht mehr trennen… aber bevor die ersten Fotografen früh morgens an der Bramme erschienen, hatten wir unsere Spuren schon beseitigt.

Montagmorgen: Der letzte Tag unserer Kultour. Vom Norden machten wir uns erneut für einige Stunden in den Süden auf, um mit dem Schiff  über den großen Teich zu schippern. Uns und ca. 100 andere Passagiere, die ebenso wie wir darauf erpicht waren, in der Sonne zu dösen und dem Plätschern des Baldeneysees um uns herum zu lauschen. Zwei Stunden gefüllt mit Kaffee, Eis und Karten spielen. Dann hieß es auch für uns Aufbruch in die Heimat (in der wir ja eigentlich das ganze Wochenende waren). Einmal mehr standen wir am Essener Hauptbahnhof, diesmal mit dem Ziel Kirchplatz St. Franziskus. Müde, kaputt und genauso zufrieden wie nach anderen Pfingstlagern. Ein Wochenende voll mit neuen Erfahrungen, einem neuen Eindruck vom „Pott“, einem erweiterten Verständnis von Kultur und auch der Erfahrung, zu Hause ein Tourist zu sein. So sieht man die Welt direkt mit ganz anderen Augen.

Marie Schwinning